"Ein wenig Kopenhagen ist überall möglich"
Fahrradfreundlich, grün, gemeinschaftlich: Kopenhagen gilt als Musterbeispiel beim Thema Stadtplanung. Die Architektin Helle Søholt ist dafür zusammen mit Jan Gehl verantwortlich.
Helle Søholt liebt Städte und ihre Bewohner. Zusammen mit Jan Gehl, Dänemarks bekanntestem Stadtplaner, gründete sie im Jahr 2000 ihr mehrfach preisgekröntes Büro Gehl Architects, dem sie als CEO vorsteht. Mit ihrem Team macht die 50-Jährige Metropolen auf der ganzen Welt zu lebenswerteren Orten: So entstand in New York unter ihrer Ägide eine Fußgängerzone entlang des Broadways, für Buenos Aires entwickelte sie den allerersten stadtweiten Strategie-Plan, und in Stockholm wurde aus einem ehemaligen Industriebezirk ein attraktives, gemischtes Stadtquartier. Im Video-Interview kommt die 50-Jährige - Pixie-Haarschnitt, rote Nägel, offenes Lachen - entspannt rüber und nimmt sich viel Zeit, obwohl sie mitten in einem Workshop steckt. Sind Skandinavier einfach die netteren Menschen? Die netteren Städte bewohnen sie offenbar: gemeinsam mit Jan Gehl verwandelte Søholt ihre Heimatstadt Kopenhagen in den letzten 20 Jahren in ein urbanes Musterbeispiel. Die Hürden, auf die sie dabei stößt, Verwaltungschaos, Bürokratie-Labyrinthe und der ewige Verkehr, nimmt sie skandinavisch-sportlich: mit dem Fahrrad.
Frau Søholt, als Stadtplanerin und Bewohnerin von Kopenhagen kennen Sie Ihre Heimatstadt genau. Mit welchen drei Adjektiven lässt sie sich am ehesten beschreiben?
Was mir zuerst in den Sinn kommt: Es ist eine einfache Stadt. Es ist einfach, sich fortzubewegen, eine Familie mit Kindern zu haben und gleichzeitig zu arbeiten. Dann habe ich das Gefühl, dass Kopenhagen einladend ist - es gibt so viele Orte, an denen man das Gefühl hat, dazuzugehören, und ich hoffe, Besucher empfinden das ähnlich. Als Drittes wünsche ich mir, dass die Stadt widerstandsfähig ist, physisch und in menschlicher Hinsicht. Es gibt einen guten Zusammenhalt in den Stadtvierteln, das hat sich während der Pandemie gezeigt, aber in Sachen Nachhaltigkeit ist noch Luft nach oben.
Sie beraten die Stadt bereits seit über zwanzig Jahren, was hat sich seitdem verändert?
Viel! Und ich spreche jetzt nicht von der Brücke nach Schweden oder dem neuen, schicken Metro-System. Wir begreifen Stadtplanung als eine Möglichkeit, über das einzelne Gebäude oder Produkt hinaus Wirkung zu erzielen. Es geht darum, zu verstehen, wie die physische Umwelt das Leben, die Gesellschaft generell beeinflusst. Ein einfaches Beispiel: Wenn man als Familie in einem städtischen Wohnblock wohnt, gibt es hier normalerweise eine grüne Gemeinschaftsfläche, sodass man als Eltern seine Kinder unbesorgt rauslaufen lassen kann. Klingt banal, ist aber superwichtig und wird leider vielerorts nicht beachtet. Und man kann mit dem Fahrrad einfach und sicher fast jeden Ort in der Stadt erreichen.
Was verstehen Sie unter öffentlichem Raum?
Er ist eine wichtige Ressource. Ich würde so weit gehen, zu behaupten, dass er auch eine Art Menschenrecht ist. Das Recht, als Individuum innerhalb einer Stadt Zugang zur städtischen Natur zu finden. Plätze zu haben, an denen wir uns treffen können, uns weniger einsam fühlen.
Mit dieser Sicht stoßen Sie wahrscheinlich auch auf Widerstände.
Oh ja. Es gibt viele Hürden, wenn man die Entwicklung einer Stadt auf diese Weise angeht, die traditionelle Planung wird oft von anderen Faktoren bestimmt. Da spielen private Interessen von Investoren hinein oder zum Beispiel auch Verkehrsfragen, etwa der Ausbau von Schnellstraßen. Aber meine Rolle besteht ja gerade darin, diese verschiedenen Interessen zum Wohle der Allgemeinheit auszugleichen.
Höher, schneller ist also nicht immer besser?
Nein, gar nicht. Der Hafen ist ein schönes Bild für den Wandel, den die Stadt Kopenhagen durchgemacht hat. Früher hatten wir einen Industriehafen, mittlerweile ist er für uns das, was für New York der Central Park ist. Jeder kann dort hingehen, man kann 22 Kilometer am Stück Fahrrad fahren und spazieren, im Sommer schwimmen die Leute im Hafenbecken, das ist doch toll!
Allerdings. Wäre so etwas denn auch in, sagen wir, Berlin möglich?
Absolut. Ein bisschen Kopenhagen ist überall möglich. Sie müssen verstehen, woher wir kommen: In den 70er- und 80er-Jahren war die Stadt absolut pleite und superarm. Die Wohlhabenden lebten in den Vororten, wir hatten eine Energiekrise, dazu einen Haufen Schulden. Und doch hat man sich auf den Weg gemacht, etwas verändert. Nicht durch den Bau großartiger Häuser oder teurer Straßen, nein, es begann mit ganz einfachen Dingen: mit öffentlichen Plätzen, der Begrünung von Innenhöfen, Spielplätzen, Fahrradstraßen.
Apropos Fahrradfahren, warum funktioniert das bei Ihnen eigentlich so gut?
Tja, es liegt nicht daran, dass die Kopenhagener eine besondere Spezies sind oder dass wir mit unseren Wikinger-Genen immun sind gegen schlechtes Wetter. Es ist einfach so, dass der städtische Raum in diesem Fall unsere menschliche Natur unterstützt. Fahrradfahren ist günstig, einfach und gesund. Ich fahre jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit, und brauche dafür nur 15 Minuten, wer weiß, wie lange ich mit dem Auto unterwegs wäre.
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Alle Fotos: C.Boes / Green City e.V.