Freie Fahrt für frische Luft

Warum in Mannheim die Bäume nach der BUGA umziehen müssen

Bei Großbauprojekten wie der Bundesgartenschau 2023 in Mannheim werden die ökologischen Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt. Grundlage für Entscheidungen sind Klimagutachten und Prognosen mittels digitaler Szenarien. Wie aussagekräftig und zukunftsfähig sind deren Ergebnisse?

Die Stadt Mannheim will bis 2030 klimaneutral sein. Mit dem Freiwerden der ehemaligen US-Militärflächen auf dem Spinelli-Areal eröffnete sich die Chance, stadtklimatische Verbesserungen im großen Stil umzusetzen. Über die Ausrichtung der BUGA 23 auf der 60 Hektar großen Freifläche werden die Voraussetzungen für einen elementaren Baustein, den „missing link“, im Klimakonzept geschaffen.

Der übergeordnete Grünzug NordOst, in dessen Kette sich die BUGA 23 befindet, soll die Großstadt zwischen Neckar und Rhein in Zukunft mit kühlender Frischluft versorgen, damit die Temperaturen in der Stadt auch im Sommer für die Bevölkerung erträglich bleiben. Berechnet ist eine Verringerung um 0,3 Grad – bei der Klimaanpassung kommt es auf jede Stellschraube an.

Gutachten geben den Kurs vor

Damit der Frischluftkorridor seine volle Wirkung entfalten kann, dürfen möglichst keine Barrieren die vom angrenzenden Naturraum Vogelstangsee in Richtung Innenstadt durchziehende Kaltluft stören. Selbst Bäume erzeugen Verwirbelungen, die die Maßnahme mindern würden. Um für die Besuchenden trotzdem erholsame Schattenbereiche bereit zu stellen, sieht das Konzept der BUGA 23 vor, auf dem Areal wie in einer Baumschule 2023 Bäume zu pflanzen. Mit Ablauf der Schau werden die „Zukunftsbäume“ wie Zügelbaum, Tulpenbaum, Feldahorn und Säulenhainbuche dann im Stadtgebiet ausgepflanzt.  „Es hört sich im ersten Moment ein bisschen merkwürdig an, dass Bäume schlecht für die Frischluftproduktion sein sollen, räumt Landschaftsarchitekt Georg Bock, von der BUGA Gesellschaft/Projektgruppe Konversion der Stadt Mannheim ein. Man kann sich das endlose Gelände nach dem gerade überstandenen Dürresommer 2022 tatsächlich schlecht ohne Schatten vorstellen. „Grundlage für die Entscheidung sind die Ergebnisse der Stadtklimaanalyse Mannheim 2010 und mehrere Planungsbegleitende Gutachten. „Für das Gutachten von Ökoplana wurden die Datenbanken der Software ENVI-met und MISKAM mit Geo- und Klimadaten gefüttert. Nach der digitalen Bearbeitung mit den grundlegenden Gesetzen der Strömungsmechanik, Thermodynamik und allgemeinen Atmosphärenphysik erstellte das System detaillierte dreidimensionale Simulationen der untersuchten Stadt und deren Naturräume. Eine Rechenleistung, die erst mit größeren Servereinheiten möglich ist.  „Zur Überprüfung der Ergebnisse wurden zusätzlich zwei physische Modelle des Geländes in verschiedenen Planungsstadien gebaut und mit Nebel gefüllt, beschreibt Geort Bock den Prozess. Anhand der Verteilung des Nebels konnten die Auswirkungen der Planungen auf das angrenzende Neubaugebiet abgelesen werden. Durch eine gezielte Anpassung des städtebaulichen Entwurfs gelangt die Kaltluft nun besser ins Quartier und trägt dort zur Verbesserung des Mikroklimas bei. Innerhalb des Quartiers wurden Gebäude und Wegestrukturen so angepasst, dass großzügige Plätze und kleinere Frischluftkorridore entstehen. Auch die Festsetzungen im Bebauungsplan beinhalten Aspekte, die klimaökologische Ziele verfolgen: So ist in großen Teilen eine extensive Dachbegrünung im Quartier vorgeschrieben und geschlossene Fassadenteile ab 20 m² sind zu begrünen. Für die nach Süden zum Freigelände hin gelegenen Fassaden trifft das jedoch nicht zu und wurde von den Investoren nur an einem der Hochpunktgebäude trotzdem vorgesehen.

Das Klimagutachten als Grundlage

Aus den Ergebnissen des Klimagutachtens entwickelte das Büro Sinai vor Planungsbeginn eine ausführliche Machbarkeitsstudie, die für den Frischluftkorridor einen großen, urbanen Landschaftspark vorsieht. In der extensiv ausgeprägten Weite sind einzelne Gehölzpflanzungen vermerkt. In den intensiven Rändern, als Übergang zu den Wohnvierteln, befinden sich die mit Bäumen und Gehölzen beschatteten Freiraumangebote. „Das Klimagutachten war Planungsgrundlage für unseren Entwurf zum zweistufigen Wettbewerb für die BUGA 23“, erklärt Philipp Haggeney, Landschaftsarchitekt und Projektleiter vom Büro RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten: “Um sicher zu gehen, haben wir unsere Planung während der Entwurfsphase immer wieder von den Ökologen überprüfen lassen und wurden jedes Mal bestätigt.“ Für Landschaftsarchitekten gehören klimaökologische Phänomene zum Handwerk. Auch während der Beurteilung der eingereichten Arbeiten durch die Wettbewerbsjury wurden die Entwürfe parallel vom Gutachterbüro auf ihre ökologischen Auswirkungen geprüft. Vom ersten Klimagutachten 2010 bis zur letzten Entscheidung im Planungsprozess vergingen acht Jahre. „Die Klimagutachten waren dabei Grundlage für Gemeinderatsbeschlüsse, Bürgerbeteiligungen sowie die spätere Planung,“ verdeutlicht Georg Bock die Tragweite einer solchen Untersuchung. 

Neue Erkenntnisse bleiben nicht aus

Im Jahr 2020 kam GreenScenario von Ramboll Studio Dreiseitl auf den Markt. Das erweiterte digitale Tool, vergleicht und bewertet die Faktoren Wasserhaushalt, Freiraum/Grün, Hitze/Mikroklima und nicht zuletzt Wirtschaftlichkeit in Abhängigkeit von einander. Obwohl die Planung zu diesem Zeitpunkt zu weit fortgeschritten war, um eine vorbereitende Analyse verschiedener Planungsansätze mit GreenScenario durchzuführen, konnten die Punkte Wasserhaushalt, Freiraum/Grün und Hitze sowie Mikroklima überprüft werden. „Ein sehr detailliertes Gutachten zum Themenbereich Klimaökologie kam vom Büro Ökoplana und die beiden Verfahren haben sich sehr gut ergänzt“, bilanziert Georg Bock.

Mannheim liegt in einer der heißesten Regionen Deutschlands. Wie sich die durch den Klimawandel ansteigenden Temperaturen und längeren Trockenperioden auf das Spinelli-Areal auf Dauer auswirken, muss beobachtet werden. Ganz auszuschließen ist es aus Sicht von Georg Bock nicht, dass nachträgliche Baumplanzungen aus ökologischer Sicht wirkungsvoll wären. Die Erkenntnisse der Wissenschaft wachsen und verändern sich mit zunehmender Faktenmenge und mit veränderter Datenlage. Auch vorbildliche Planungen müssen immer wieder evaluiert und überprüft werden, wenn die erhofften positiven Auswirkungen auf die Umwelt und damit für die Menschen wirklich stattfinden sollen. Philipp Haggeney gibt der Freifläche eine positive Prognose: „Der Untergrund ist mager-sandig, einen geeigneteren Standort für die gebietsheimischen Mager – und Trockenfluren. Das wird hier im Hitzesommer natürlich optisch der eher extensive Teil werden, so ist das eben. Wir sind im Außenbereich verpflichtet, gebietsheimische Arten mit Herkunftsnachweis auszusäen. Mit steigenden Temperaturen wird hier ein Wechsel in der Vegetation einsetzen, aber das Landschafsbild wird erhalten bleiben.

Autor: Katja Richter für die taspo Garten Design, Ausgabe 2/2023