So entsteht ein Biodiversitätskonzept

Seit Herbst 2018 begleitet Autor und Biodiversitätsberater Dr. Philipp Unterweger die bayerisch-schwäbische Stadt Gersthofen bei der Umsetzung und Erstellung eines kommunalen Biodiversitätskonzepts. Das bedeutet längst mehr als Blühstreifenaktionismus und das Anlegen einzelner Blühflächen. Ein Blick aus verschiedenen und neuen Perspektiven ist hilfreich.

Der Biodiversitätsdialog wird von unterschiedlichen Seiten angestoßen –von Bürgern, von der Verwaltungsspitze, von engagierten Mitarbeitern oder von außen. Die Rolle des Biodiversitätsberaters ist dabei vielgestal-tig: beobachtend, lenkend, impulsgebend, lobend, tadelnd und stets – soweit möglich – authentisch und ehrlich. Bei der Erstbegehung in der Kommune ist das Wichtige der Blick von außen. Es wird über alle Chancen, Fehlgriffe, Errungenschaften, Meisterleistungen und Sünden offen gesprochen. Keine Gnade für die runkelige Zierrose, auch wenn sie vom Ehrenbürger gestiftet wurde. Keine Scheu, den Rathausplatz infrage zu stellen. Auch bei der Idee, Kühe im Stadtpark weiden zu lassen, sollten beide Seiten ganz cool bleiben.

Vom verrückten Ideeneinsammeln bis zum Umsetzen

Die Ortsbegehung ist entscheidend für die Entwicklung des Projekts. Man kann bei diesem Rundgang gar nicht verrückt genug sein. Je ver-rückter die Ideen, desto besser. 40 bis 60 potenzielle Projekte findet man im Handum­drehen, und der Prozess des Sammelns und Gliederns be-ginnt. Vom Grünflächenthema über Nisthilfen zu Naturerlebnisräumen, Pflasterfugenvegetation, Kommunikation, Teilhabe, Gewässerökologie, Urban Gardening, Industrienatur und eben der Kuh im Stadtpark. Der erste Schritt ist immer das Lob. Was ist bereits gut und wo können wir uns heute schon auf die Schulter klopfen? Oft sind das Bereiche, die bisher einfach übersehen wurden: Efeu am alten Rathaus, Streuobst-wiesen hinter der Festhalle, Nisthilfen im neuen Wohngebiet. Mit einer ganzen Liste kann die Kommunikation starten. Wichtig ist genau dieser erste Schritt: das Einstimmen auf ein neues Thema mit allen Kanälen. Der zweite Schritt ist ein echter Brocken. Aber er ist immer möglich, unumgänglich und der zentrale Baustein einer jeden Biodiversitäts-strategie: die Anpassung des Mahdkonzepts. 100 % der Flächen werden ab jetzt nachhaltig gepflegt.

Auch Rasen kann nachhaltig sein

Die 17 SDGs, die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals), sind die Schlüsselfaktoren für diese Maßnahmen. Jedes einzelne Biodiversitätsprojekt erfüllt eine oder meist mehrere dieser 17 Ziele. Die passenden Begriffe warten nur noch auf die Umsetzung: Das Animal-Aided Design versucht, unsere Planungen und alle Baumaßnahmen auch im Sinne der biologischen Vielfalt zu spiegeln. Barrierefreiheit für den Igel, Nisthilfen am Gebäude, Lücken für die Eidechsen und eine Rampe aus dem Schacht für die Kröten.

Zentral ist auch die Klimafolgenanpassung, denn viele Kommunen klagen über überhitzte Stadtzentren. Mit den „Naturebased Solutions“ erreichen wir vieles einfach, woran Ingenieure verzweifeln: Feinstaubbindung, Schatten und gute Luft. Die Antwort heißt Vegetation. Auf viele Herausforderungen unserer Gesellschaft hat die Natur eine gute Antwort gefunden, die wir nutzen sollten. Die ökosystemaren Dienstleistungen fassen zusammen, was die Natur für uns leistet.

Aber auch gesellschaftliche Themen wie Partizipation und Teilhabe sind essentiell. Auch Menschen mit einge-schränkter Mobilität haben ein Recht auf Naturerlebnis. Also brauchen wir erreichbare innerstädtische oder stadtnahe Naturräume. Das Biodiversitätskonzept arbeitet meist jenseits der Rechtspflichten, denn es geht nicht um Eingriff-Ausgleichs-Regelungen oder Ökopunkte. Es geht um einen ganzheitlichen Blick auf das Leben im Siedlungsraum.

Von Anfang an darüber reden

Kommunikation ist essentiell. Wir müssen darüber reden, was wir tun. Nicht wegen des Eigenlobs, sondern weil es unsere Pflicht ist. Zum einen ist es der Einsatz von Steuergeldern, mit dem wir Antworten auf die Herausforde-rungen der Gegenwart suchen. Viele Telefonate und Mails können beantwortet oder vermieden werden, wenn man auf eine gute Broschüre, eine Internetseite einen Social-Media-Kanal verweisen kann. Es entlastet die Dienstwege. Druck wird vom Gemeinderat genommen, die Kritik wird nicht nach unten weitergegeben und führt dann dort zum Aufheulen der Mäher, Laubbläser und Motorsägen. Ein gut vermitteltes Biodiversitätskonzept ist die Grundlage für die Akzeptanz der Maßnahmen. Kein Mitarbeiter wird je so viel und mit so vielen Menschen reden können, wie die verschiedenen Medienkanäle erreichen.

Schilderwald muss sich biodivers geben

Kommunikationsmittel im Freiland sind und wirken sehr unterschiedlich. Nicht wenige von uns dürften schon vor holzgeschnitzten Zeigefingerreimen schamhaft gefröstelt haben. Dennoch bleiben Wandersmann- und Waldeslust-schüttelreime im Gedächtnis. Auch riesenhafte Naturdioramazeichnungen mit verbissen schauender Eidechse und aberwitzigen Beschriftungslittaneien wirken beeindruckend. Jeder möchte gerne so gut zeichnen können – oder aber zumindest einmal im Leben eine Hecke sehen, in der es so wuselt wie auf dem hochverdichteten Informa-tionsbild. Textlastigkeit führt oft zu Eddingkommentaren und Korrekturhinweisen. Der Schriftzug „Dies ist eine bunte Wiese“ wird garantiert im Winter kommentiert werden. Die Berliner Grünflächenamtsleiter sehen Schilder lediglich als Grundlage für Aufklebersammlungen, während manche Schilder wahre Materialschlachten ohne Inhalt und mit irreführenden Fotos sein können. Vorsicht ist also geboten bei der Auswahl des Kommunikationsmittels. Texte müssen redaktionell geprüft werden. Stimmen die Sachverhalte? Sind die Bilder plausibel? Nicht jeder tropische Schmetterling passt zu einem mitteleuropäischen Biodiversitätsschild.

Brauchen wir viel Text? Wenig Text? Holz oder Alu-Dibond?

Haben wir einen Kommunikationshelfer? Wer kennt ihn nicht, den Maulwurf der Deutschen Bahn. Putzig, süß und gewitzt zaubert er uns immer ein Lächeln auf die Lippen, das umgehend erstarrt, weil wir mit seinem Erscheinen wissen: Zwischen hier und unserem Ziel fehlen die Gleise. Das kann man auch mit der Biodiversität machen: Das Käferlein „Karl“ als Idée fixe für sich im Stadtraum wiederholende Biodiversitätsprojekte. Auch Piktogramme sind ein absoluter Hit. Die Eidechsenpiktogramme der Deutschen Bahn an den Lärmschutzwänden zeigen uns ohne Worte, dass hier Querungshilfen für Eidechsen geschaffen wurden. Animal-Aided Design genial einfach erklärt.

Der Weg durch die Institutionen

Biodiversität ist unser Leben. Es gibt daher nicht den einen zentralen Verantwortlichen. Weder der Rasenmäherfahrer, der Bauhofleiter noch der Umweltreferent ist allein verantwortlich.

Autor: Dr. Philipp Unterweger, Wain

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