Hanglage, Kunstblick

Tony Craggs privater Skulpturenpark Waldfrieden versetzt englische Gartenträume ins Bergische Land

Als Tony Cragg vor gut 15 Jahren damit begann, große Skulpturen in ein verwildertes Waldstück über den Dächern Wuppertals zu stellen, fragten sich vermutlich viele Einheimische, was der „komische Engländer“ da eigentlich treibt. Das glaubt der britische Bildhauer jedenfalls selbst und kann es seinen Mitbürgern auch nicht verdenken. Der im Christbusch gelegene Park war völlig verwildert und zog sich tollkühn einen Hang hinauf; weder die Erben des Lackfabrikanten Kurt Herberts noch die Stadt wussten etwas mit ihm oder der unter Denkmalschutz stehenden Industriellenvilla Waldfrieden anzufangen.

Der weltweit gefeierte Cragg hatte hingegen eine genaue Vorstellung davon, was aus dem Wäldchen werden sollte. Er hatte die Schmuckgärten seiner englischen Heimat im Sinn, in der die natürlich gewachsene Landschaft mit malerischen Eingriffen in begehbare Gemälde verwandelt wurde. Dafür legte man Wege und Flüsse an und lenkte die Blicke mithilfe kleiner Tempel, Pagoden oder künstlicher Ruinen in die gewünschte Richtung. Manchmal setzte der Gartenbesitzer sogar noch einen dekorativen und zu Späßen aufgelegten Einsiedler hinein.

So weit wollte Cragg die Parallelen freilich nicht ziehen – für einen „richtigen“ Englischen Garten wäre sein 14 Hektar großer Skulpturenpark Waldfrieden auch viel zu klein. Ein Erfolg ist er nach einem etwas zähen Anfang trotzdem geworden: Jährlich zieht es um die 40 000 Besucher in den privat finanzierten Parcours. Die Mehrzahl davon kommt in Frühling und Sommer, wenn alles blüht, der Laubmischwald für Schatten sorgt und zugleich als natürliche Sichtbarriere zwischen den Werken dient. Jede Lichtung ist eine neue Bühne der zeitgenössischen Bildhauerei.

Mittlerweile zählt der Skulpturenpark über 50 Werke – etwa die Hälfte stammt von Tony Cragg selbst, die andere aus seiner Sammlung mit Arbeiten von Richard Deacon, Hede Bühl, Eva Hild, Markus Lüpertz oder Erwin Wurm. Auch eine „Sitzende“ von Henry Moore hat vor der Villa Waldfrieden eine neue Heimat gefunden. Als die Stadt Wuppertal die Bronze 1957 für einen zentralen Platz erwarb, wurde sie erst zum lokalen Skandalstück und später zur lieblos hin und her geschobenen Antiquität. Bei Cragg hätte sie es nicht besser treffen können. Sie hat zwar kein Gesicht, sieht aber trotzdem sehr zufrieden aus.

In seinem Park möchte Cragg der Vielfalt der modernen Skulptur eine Heimat geben – eine Idee, die auf dem verhältnismäßig engen Raum prächtig gedeiht und auch Kollegen, die in ihrem Werk einen ganz anderen Stil als der Gastgeber verfolgen, immer wieder zu Leihgaben animiert. Von Anfang an gehörten Sonderausstellungen zum Parkkonzept, dafür ließ Cragg im Laufe der Jahre gleich drei rundum verglaste Ausstellungshallen errichten. Zur Eröffnung im September 2008 zeigte er Eduardo Chillida, danach unter anderem Daniel Buren, Heinz Mack, Joan Miró, Bruce Nauman, Lynn Chadwick und Anish Kapoor. Aktuell sind eine Auswahl aus der hochkarätigen Skulpturensammlung des Wuppertaler Museums Von-der-Heydt und Werke von Jaana Caspary zu sehen.

Das im Skulpturenpark verwirklichte Zusammenspiel aus Natur und Kunst gehört zu den Grundideen in Craggs Werk. „Die Erfindungen des Menschen sind furchtbar langweilig im Vergleich zu denen der Natur“, sagte er einmal. „Man nimmt einen Wald weg und baut da einen Parkplatz hin.“ Oder man überlässt es der Industrie, Alltagsobjekte zu entwerfen, und bekommt genormte Formen und Farben zurück. Die Grundformen, so Cragg, sind immer flach oder zylindrisch, weil sich das am billigsten herstellen lässt.

Mit seinen bekanntesten Skulpturen, den „Rational Beings“ oder tanzenden „Columns“, geht Cragg den umgekehrten Weg: Er nimmt kreisrunde Scheiben und schichtet sie zu gewundenen Gebilden auf, die zugleich organisch und außerirdisch wirken und in deren Silhouetten man nicht selten menschliche Züge wiederzuerkennen glaubt. „Im Grunde ist das reine Geometrie“, so Cragg über seine mit hohem technischen Aufwand gefertigte Skulpturen. Und doch feiert die Natur in diesen rationalen Wesen einen symbolischen Sieg über die Industrie.

Autor: MICHAEL KOHLER

Abdruck des Beitrages mit freundlicher Genehmigung des Verlages Du Mont Schauberg: aus dem Kölner Stadtanzeiger, Ausgabe 1./2. Juli 2023