Anish Kapoor im Skulpturenpark Waldfrieden

Auf gut 14 Hektar Land im jahrhundertealten Waldgebiet im Ber-gischen bei Wuppertal verteilt sich der Skulpturenpark Waldfrieden. Zwischen knorrigen Eichen und Kastanien können Besucher hier Skulpturen aus Edelstahl, Holz, Glas oder Kupfer betrachten, mal reale, mal abstrakte Formgebilde. Neben den Skulpturen des Park-initiators und Künstlers Tony Cragg, immer wieder auf der Art Cologne sehr präsent, finden in Wechselausstellungen auch Kollegen ihren Platz im Grün.

Nun hat Tony Cragg einen Kunstschaffenden von Weltrang nach Wuppertal geholt: den in London ansässigen, rund um den Globus ausstellenden Anish Kapoor. Er steht seit den 1970er Jahren für eine künstlerische Suche nach dem „non-object“, dem „Nicht-Dinghaften“, das zwischen physischer und nicht-physischer Präsenz oszilliert. Einige seiner Kunstwerke irritieren die Wahrnehmung, denn er überwältigt Besucher mit der schieren Größe seiner Objekte, mit verführerischen Oberflächen, betörenden Farben und magischen Räumen, in die man sich hineingezogen fühlt. Im Skulpturenpark sind sie tatsächlich zu begehen.

Kapoors Kunst fasziniert also zwischen Architektur und Bildhauerei, er regt zur unmittelbaren, persönlichen Erfahrung von Transzendenz an. Bestes Beispiel: seine Großskulptur „Sectional Body preparing for Monadic Singularity“ von 2015. Entstanden anlässlich von Kapoors Ausstellung im Garten von Schloss Versailles und jetzt auch in Wuppertal ausgestellt. Hier brauchten zehn Helfer vier Tage, um das monumentale Gebilde aufzubauen. Das fleischige Rot des Kubus changiert und zieht den Betrachter in den Raum. Es scheint von Adern durchzogen. Der Kubus kann betreten werden. Im Inneren verbindet eine Röhre ein rundes Loch an der Oberseite mit einem langgezogenen, ellipsoiden an der Seite; eine zweite Röhre führt von der gegenüberliegenden Seite ebenfalls auf die Oberseite. Beide „rahmen“ einen Himmelsausschnitt. Die dritte Röhre, gigantisch groß, erinnert an eine Tuba. Das kennt man schon von vielen seiner Objekte und ist doch wieder eine neue Erfahrung, die alle Sinne anspricht. Bei Werken von Anish Kapoor gibt es immer ein inneres und ein äußeres Erlebnis - zum Beispiel durch die gespannte Oberfläche der „Architektur“ und die der Farbverläufe im Raum.

Provokatives in der Ausstellungshalle

In der Ausstellungshalle stellt sich ein ganz anderer Kapoor vor – man wähnt sich eher in einem Schlachthaus. Die Farbe Rot, in Silikon, Wachs und Pigment, die den Künstler seit 40 Jahren in den Bann schlägt, lässt hier an Blut zwischen Leben und Tod denken. Stellvertretend dafür stehen “Threshold Door“, „Table of Law“, „Shade“ oder „Dumped“ – sie erinnern an Gewalttaten, gar an ein Gemetzel. In einer Pressekonferenz erläutert der Künstler jedoch, dass dies nichts mit dem Ukraine Krieg zu tun habe, sondern es ihm darum gehe, dass Dasjenige, was wir generell nicht wahrhaben wollen, was wir nicht sehen wollen, weil wir es tief vergraben haben, an die Oberfläche kommen soll. Es sei ihm nicht wichtig, was (oberflächlich) gesehen wird, sondern was zwischen dem Betrachter und dem Kunstwerk passiert. Kunst im Sinne der Provokation – draußen die grüne Idylle, drinnen der Tod – die Balance ist gestört, die Welt aus den Fugen. Ein Abbild der Zeit?

Ein hoch ausgezeichneter Künstler

Sir Anish Kapoor zählt zu den einflussreichsten Bildhauern der Gegenwart. Er vertrat 1990 Großbritannien auf der Biennale von Venedig und erhielt den begehrten Preis „Premio 2000“ der internationalen Jury. Er ist Träger des Turner-Preises (1991) und des Praemium Imperiale (2011). Seit den frühen 1980er-Jahren wird sein Werk weltweit ausgestellt. Zu den jüngsten Einzelausstellungen gehören Gallerie dell’Accademia & Palazzo Manfrin, Venedig, Italien (2022), Modern Art Oxford, Großbritannien (2021); Pinakothek der Moderne, München, Deutschland (2020).

Kapoor rangiert auf der Liste der reichsten Briten, doch er gab einmal bekannt, welche Summen seine Arbeit verschlingen: er unterhält 50 Arbeitsplätze und seine Objekte brauchen bis zu einem Jahr zur Fertigstellung. Manche benötigen von der Beauftragung über die Entwürfe bis zur Veröffentlichung viele Jahre. Zur großen Kunst gehört unternehmerischer Mut, den hat der aus einer indisch-irakisch-jüdischen Familie stammende Brite bewiesen. Und er ist keineswegs nur auf seine Großskulpturen festzulegen: im Jahr 2012 schuf Kapoor das Bühnenbild für eine Neuinszenierung von Richard Wagners Alterswerk Parsifal an der Nederlandse Opera in Amsterdam. Mehr zum erstaunlichen Lebenslauf: https://de.wikipedia.org/wiki/Anish_Kapoor


Alle Bilder: Ralf Silberkuhl

 

Die Aussstellung im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal läuft noch bis zum 1. Januar. Geöffnet von Freitag bis Sonntag von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr.
https://skulpturenpark-waldfrieden.de/ausstellungen/wechselausstellungen/details/anish-kapoor

Film zur Pressekonferenz:
https://www1.wdr.de/fernsehen/lokalzeit/bergischesland/videos/video-skulpturenpark-waldfrieden-weltstar-anish-kapoor-stellt-aus-100.html