Erinnerungsort an die Mannheimer „Gastarbeiter*innen“
Ein Baumensemble aus acht Kiefern verschiedener Arten erinnert an die Herkunftsregionen der sogenannten „Gastarbeiter*innen“, die in der Nachkriegszeit zwischen 1955 und 1973 nach Mannheim kamen: Mit der im Rahmen der BUGA Mannheim 2023 gestalteten Grünanlage wurde ein Erinnerungsort geschaffen, der diese für Mannheim so bedeutsame Phase der jüngeren Stadtgeschichte ganz bewusst aus der Perspektive der Zugewanderten erlebbar und nachvollziehbar machen möchte.
„Es ist vor allem auch ein Ort der Anerkennung und Wertschätzung der Menschen und ihres Beitrags für unsere Stadt, der deutlich über ihre Leistungen als Arbeitskräfte hinausgeht. Ein Ort des gemeinschaftlichen Erinnerns, der Zu(sammen)gehörigkeit stiften und Mannheim als Einwanderungsstadt und als ‚Heimat für Vielfalt‘ würdigen möchte“, so Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz anlässlich der Eröffnung des Erinnerungsortes am 13. Mai 2023. Auch die für den Erinnerungsort gewählte Formsprache ist innovativ: „Aus den jeweiligen Herkunftsländern stammend, bilden unterschiedliche Kiefern ein Ensemble; aber sie alle sind einer Gattung zugehörig: Kiefern. Bäume, die Wurzeln schlagen und (zu einem kleinen Wäldchen) ‚zusammen-wachsen‘.“
Der Erinnerungsort an die Mannheimer „Gastarbeiter*innen“ befindet sich auf dem Spinelli-Gelände der BUGA Mannheim 2023, direkt neben der Seilbahnstation und wird auch nach Ende der Bundesgartenschau dauerhaft dort erhalten bleiben. Neben den Kiefern, darunter unter anderem die Bergkiefer (Spanien), die Schwarzkiefer (Tunesien) sowie die Schlangenhautkiefer (Griechenland), wurden als verbindende Elemente niedrige Gräser- und Heckenbänder sowie Wechselflor aus Kräutern oder Stauden gepflanzt. Flächen aus Naturstein und Bänke laden zum Verweilen und zur Auseinandersetzung mit der Geschichte ein. Als strukturgebendes Leitmotiv dienen Kiefernzapfen, an deren Form sich der Aufbau und die Gestaltung der Fläche und auch die Standorte der Kiefern orientieren
„Wenn wir uns die Anlage ‚ausgewachsen‘ vorstellen, lädt dieser sich sehr gut in das räumliche Umfeld einfügende ‚Kiefernpark‘ zunächst zum Verweilen ein“, betonte BUGA-23-Geschäftsführer Michael Schnellbach. „Wenn wir uns dann auf die auf den kleinen Pultschildern dargestellten Inhalte und Erläuterungen zur Gestaltung, die auf der Fläche verteilt stehen, einlassen, eröffnet uns der zunächst idyllische Ort seine tiefere Bedeutung. Wir haben hier einen Ort des Erinnerns geschaffen, aber auch des besseren Verstehens unserer von Vielfalt geprägten Stadt. Mannheim vereint so viele Kulturen, so viele Nationen, und doch sind alle Mannheimer*innen.“
Um an die jüngere Migrationsgeschichte und an die Geschichten von „Gastarbeiter*innen“ in Mannheim zu erinnern, wurden an verschiedenen Stellen im Ensemble Informationsangebote platziert, dazu gehören eine zentrale Informationstafel sowie Stelen oder Plaketten mit QR-Codes. Über die QR-Codes können hinterlegte Geschichten von Mannheimer „Gastarbeiter*innen“ angehört werden, die die individuelle Ebene der Migration sichtbar machen. Somit erzählen Eingewanderte und ihre Nachfahren selbst ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Besucher*innen sind aufgefordert den Ort zu erkunden, gleichzeitig laden die Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Damit wurde ein Ort geschaffen, der zum Innehalten und zur Auseinandersetzung mit der Geschichte einlädt
Der Erinnerungsort entstand unter Einbeziehung des Mannheimer Migrationsbeirats, auf dessen Initiative er zurückgeht. Die Umsetzung erfolgte seitens des Beauftragten für Migration und Integration der Stadt Mannheim zusammen mit dem MARCHIVUM und der BUGA23-GmbH. Für die Planung und Gestaltung wurde RMPSL Landschaftsarchitektur und Stadtplanung beauftragt.
Faszinierende Dimension
Landschaftsarchitekt Stephan Lenzen spricht über die Planung des Spinelli-Geländes der BUGA Mannheim 2023
Wie sind Sie bei dieser Planung vorgegangen?
Die Idee ist aus dem Ort entstanden. Aus der Vorstellung, eine Kaserne zu entfernen und einen Landschaftsraum daraus zu machen. Wir arbeiten mit minimalen Eingriffen, versuchen, das Gelände nicht zu stark zu überformen sondern das zu nutzen, was da ist. Wir versuchen, alte Wege wieder zu verbinden, die vor der Zeit der militärischen Nutzung zwischen den Ortschaften und den Siedlungsräumen bestanden haben. Wir versuchen, Strukturen zu initiieren, so dass sie alleine wachsen. Es ist ein reduzierter Entwurf, weil das Landschaftliche im Vordergrund steht. Das Ziel ist es, Frischluft in die Stadt zu bringen.
Was war die größte Herausforderung bei der Planung?
Die Dimension. Sich vorzustellen, wie das Gelände aussieht, wenn die Kasernen- und Lagergebäude weg sind. Es ist heute unglaublich weit, man kann schnell die Orientierung verlieren. Und es war eine Herausforderung, die Balance hinzubekommen, zwischen der Weite und den intensiv gestalteten, für den Menschen in der Freizeit nutzbaren Bereiche in den Übergangszonen zum Siedlungsraum. Das Gelände ist ja ist nicht prädestiniert für ein Gartenschau.
Wie bewerten Sie es im Vergleich zu den Arealen anderer Gartenschauen?
Die Weite, Größe und Dimension sind faszinierend. Aber für eine Veranstaltung, bei der es um Intensität geht, die man durch Enge erzeugt, durch eine schnelle Abfolge von Attraktionen, visuellen und erlebbaren Erfahrungen, ist so ein Raum eine größere Herausforderung. Eigentlich gibt es bei Gartenschauen immer einen Rahmen, Bezüge zur Umgebung. Bei der BUGA Koblenz 2011 war das die städtische Struktur. Hier ist erst einmal Leere.
Wie platziert man eine Gartenschau im leeren Raum?
Das gesamte Gelände zu integrieren wäre zu viel, die Wege wären zu weit. So ist der intensive Ausstellungsbereich nur ein Teil des Areals und es ist gut, dass man die Qualität des Offenen lässt. Im Umfeld der U-Halle findet die intensive, temporäre Ausstellung statt, auch die Parkschalen mit den Freizeitbereichen sind intensiv. Aber den anderen Raum haben wir einfach Raum sein lassen. Wer dafür ein Gespür hat, eine Faszination empfindet, der wird dann hingehen und die Dimensionen auf sich wirken lassen.
Spinelli lebt vom Kontrast?
Das ist die Hauptidee im Entwurf. Die intensiven Flächen stehen einem „Nichts“ gegenüber. Dieses Nichts ist aber bewusst gewählt. Man hätte zum Beispiel Inseln reinlegen können, die bespielt werden. Mir war aber klar: wenn schon, dann radikal. Und ich glaube, dass der Raum viel Platz für Naturerfahrung bietet, wir haben Biotope für Vögel, Insekten, Eidechsen. Durch das Naturerlebnis wird er aufgewertet. Die Entscheidung, auf dem Gelände nicht zu bauen, sondern Grün zu machen, das ist aus meiner Sicht die eigentliche Leistung.
Eine Entscheidung fürs Stadtklima?
Ja. Hier entsteht ein großer, zusammenhängender Landschaftsraum, der neu ist. Die Biotope gab es, Sandbienen waren auch schon da. Aber es standen noch die Gebäude dort. Ich rechne es der Stadt Mannheim und der Politik hoch an: Es ist eine radikale Entscheidung, es frei zu lassen und in einer dichtbesiedelten Region wie dem Rhein-Main-Gebiet überhaupt nicht selbstverständlich. Auch wenn Städte ihre Klima-Resilienz über den Freiraum hinbekommen müssen. Dieses Votum für die Landschaft ist das Besondere an diesem Projekt. Wertschöpfung ist in diesem Fall anders vonstattengegangen als oftmals üblich, aber der Wert ist für die Menschen in der Stadt mindestens genauso hoch.
Wie wirkt sich der Freiraum auf das städtische Klima aus?
Durch den Abbau der Kasernen ist ein Frischluftkorridor entstanden. Der soll erhalten bleiben, so kam es zum Konzept der „offenen Mitte“. Denn zu viele Bäume hätten zu viel Luftwiderstand gegeben, aus dem Grund wird auch der rechte Riegel der U-Halle zurückgebaut bis auf das Gerüst. Es geht um Zehntelgrade, die das Klima in der Stadt positiv beeinflusst wird. Denn durch die Gestaltung nimmt der Kaltluftvolumenstrom zu. Das zeigt ein Klimagutachten zum Grünzug Nordost. Wir wissen heute, dass auch Zehntelgrade schon eine Bedeutung haben.
Welche Bedeutung hat die U-Halle für die Planung?
Für mich ist sie der Symbolbaukörper für die Vergangenheit und ich bin froh, dass sie erhalten blieb. Nicht die Architektur an sich ist besonderes, aber ihre Form und Dimension. Das passt gut in diesen Raum. Auch das Auflösen des Gebäudes gehört dazu, dass Grün hineingeht, das war schon die Idee im Wettbewerb. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden übrigens die Materialien der U-Halle wiederverwertet.
Nachhaltigkeit spielt eine zentrale Rolle bei dieser Bundesgartenschau…
Nachhaltig ist schon der Gedanke, wie man mit dem Areal umgeht. Wir schaffen große Flächen für Biotope. Nicht irgendwo ein paar Ecken, sondern es ist Programm. Nachhaltig ist auch, dass durch die BUGA die Planungs- und Bauprozesse deutlich schneller gehen als ohne eine Gartenschau. Die Hitzeeinsparung und Niederschlagsversickerung zum Beispiel haben wir ja ein paar Jahre früher, als es sonst der Fall gewesen wäre.
Die Fläche, die Weite, die U-Halle, das Einbinden vorhandener Strukturen – was zählt noch zu den Highlights?
Die Parkschalen, die klassisch „Park“ sind, mit Bäumen, aber auch Retentionsflächen für den Siedlungsraum. Hier finden sich Sportflächen, es gibt kurze Wege zur Siedlung, die Bäume werden, wenn sie größer sind, wie ein Filter vor der bebauten Fläche stehen. Auf dem Plan wirkt dieser Bereich wie eine Schale, aber wenn man alles zusammenaddiert, kommt man auf die Größe eines großen Stadtparks. Ein weiteres Highlight ist aber auch der Steg, den wir am Höhensprung der alten Neckarschleife bauen. Vom Steg blickt man zurück in die Stadt mit dem Fernmeldeturm, der zur Zeit der BUGA Mannheim 1975 gebaut wurde. Man sieht aber auch die Auen und Gewässer. Gleichzeitig ist es der Übergang über die Straße. Und dann gibt es noch den Radschnellweg, der Mannheim mit den neuen Siedlungsräumen verbindet. Der ist nicht so spektakulär, hat aber auch mit Ökologie und neuer Mobilität zu tun.
Wie steht Spinelli dem Luisenpark gegenüber?
Wir wollen bei der BUGA Mannheim 2023 eine Dualität spielen – der klassische, bis ins kleinste Detail perfekt gestaltete Luisenpark, auf der anderen Seite Spinelli mit einer ganz anderen Formensprache und Ästhetik. Für uns ist der Luisenpark ein Bezug zur Vergangenheit, Spinelli ein Blick in die Zukunft.
Welche Rolle spielt das sechsmonatige Fest der Bundesgartenschau?
In der öffentlichen Wahrnehmung wird eine BUGA immer auf das Fest reduziert, was den eigentlichen Hintergrund der Gartenschau verkennt. Aber ich schätze das Fest als wichtigen Bestandteil des Instrumentes, ohne das würde es nicht funktionieren. Ein Eröffnungsdatum ist ein Druckmittel, denn keine Stadt will sich blamieren, wenn der Bundespräsident kommt!
Sie haben bereits etliche Gartenschauen geplant – was reizt Sie daran?
Ich schätze die Besonderheit und Einmaligkeit des Instrumentes Gartenschau, da es mir als Landschaftsarchitekt erlaubt, federführend große Stadträume oder Landschaftsräume zu planen und zu entwickeln. Über einen sehr kompakten Zeitraum mit einer intensiven, guten ergänzenden fachlichen Begleitung durch die jeweilige Gartenschaugesellschaft. Es besteht immer ein hoher Anspruch an diese Flächen, man setzt sich mit zeitgenössischen Themen auseinander, und in der Ausführung und Materialverwendung wird das Besondere zugelassen. Auf diesem hohen Niveau können wir sonst nur sehr selten Landschaftsarchitektur betreiben. Es ist eine Aufgabe, die nicht vom reinen Pragmatismus geprägt ist, in diesem Kontext liebe ich diese Projekte! Natürlich sind es auch über lange Jahre lukrative Aufträge. Aber: so ein Projekt schweißt auch die grünen Berufe zusammen und es entstehen Freundschaften.
Die Fragen stellte Ina Sperl / DBG.
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